Burn-Out und Erschöpfung: Wie gehe ich als Mitarbeiter oder Führungskraft damit um?

Ein paar Fragen an den betrieblichen Gesundheitsmanager Christian Schwakenberg

Wibke Regenberg:
Hallo Christian, erst einmal Danke, dass du für dieses Interview zur Verfügung stehst. Du bist ja bereits viele Jahre im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) tätig und somit ein echter Experte, was das BGM-Thema angeht. Mich interessiert das Thema Erschöpfung und Burnout: Wie gehe ich da im betrieblichen Kontext, also als Mitarbeiter oder Führungskraft damit um, wenn ich merke, dass ich Erschöpfungssymptome habe? Was sind da die ersten Schritte? Gehe ich zu meinem Hausarzt, zum Vorgesetzten?

Christian Schwakenberg:
Dass ich meine Erschöpfung an Symptomen, die ich neu feststelle oder lange nicht wahrgenommen habe, erkenne, ist im Grunde schon der erste wichtige Schritt. Damit habe ich es geschafft, den Blick wieder auf mich selbst zu richten, mir selbst gegenüber achtsamer zu werden.

Symptome sind nicht immer einfach einzuordnen

Symptome sind aber nicht immer einfach einzuordnen. Je nach Art der Symptome, kann ich unterschiedlich reagieren. Manche sind relativ klar erkennbar zu lange anhaltender quantitativer und/oder qualitativer Überforderung geschuldet. Dabei ist es egal, ob dies aus dem beruflichen Umfeld (zu viele Aufgaben, zu enge Zeitfenster, schlechte Führung,…) kommt oder durch eine hohe Belastung im privaten Bereich (Familienprobleme, Pflege, Freizeitstress,…) entstanden ist.

Bei einigen Symptomen halte ich es auch für wichtig, sie schulmedizinisch abklären zu lassen. Eintretender Schwindel z.B. kann auch rein organische Gründe haben. Der Gang zum Hausarzt ist hier sicherlich nicht schädlich.

Kann ich erkennen, dass die Erschöpfung ihren Ursprung zu großen Anteilen im beruflichen Kontext hat, kommt der Arbeitgeber mit ins Spiel. Aber auch hier kommt es darauf an, um was es dabei geht.

Manches lässt sich oft mit der direkten Führungskraft besprechen: wer macht was, welche Prioritäten werden gesetzt, wer vertritt wen, welche Aufgaben möchte ich vielleicht abgeben, welche Aufgaben hätte ich lieber, wie kann ich mich weiter entwickeln, wie kann ich mehr Verantwortung bekommen oder gibt es möglicherweise auch Unklarheiten und Differenzen unter den KollegInnen.

Liegen die Gründe in meiner Tätigkeit selbst, also bin ich eigentlich unzufrieden mit meinem Job und sehe ich mich eigentlich woanders (Abteilung, Hierarchie, Unternehmen), kann ich mich intern oder extern bewerben.

Wenn ich akut erschöpft bin und mich nicht mehr arbeitsfähig fühle, ist eine Krankschreibung/Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) eine erste Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und mich zu sortieren.

WR:
Welche Rolle spielt der Betriebsarzt?

CS:
Er ist für die Verknüpfung von medizinischen Erkenntnissen und Maßnahmen mit den Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz zuständig. Benötige ich z. B. ein paar Veränderungen rund um meinen Arbeitsplatz, kann ich den betriebsärztlichen Dienst/den Betriebsarzt hinzuziehen.

WR:
Das heißt, er schaut, ob und wie sich ein Arbeitsplatz auf die Gesundheit auswirkt und welche Maßnahmen dort für eine Verbesserung sinnvoll wären?

CS:
Genau. Er erläutert dem Arbeitgeber quasi, welche betrieblichen Ursachen es möglicherweise für eine Erkrankung gibt und wie der Arbeitgeber darauf reagieren könnte.

Der Arbeitgeber hat immer eine Fürsorgepflicht

Wichtig ist: der Arbeitgeber hat immer eine Fürsorgepflicht, der er nachkommen muss. Der Betriebsarzt kann hier konkrete medizinische und auch psychologische Hintergründe beschreiben und rehabilitative, sowie präventive Maßnahmen vorschlagen.

WR:
Muss der Arbeitgeber das dann umsetzen?

CS:
Nein. Er ist nicht gezwungen, den Vorschlägen zu folgen. Er muss sich nur immer im Klaren darüber sein, dass er eine Mitverantwortung für die Gesundheit seiner Mitarbeiter trägt. Er könnte im Extremfall für nicht umgesetzte Maßnahmen sogar juristisch belangt werden. An dieser Stelle zeigt sich dann ein für mich sehr wichtiger Punkt:

Welche Haltung, welche Kultur herrscht im Unternehmen beim Thema Gesundheit?

WR:
Da stellt sich mir die Frage nach dem Betriebsrat …

CS:
Der Betriebsrat (BR) ist immer ein parteiischer Streiter für die Mitarbeiter, der sich für die Rechte des Einzelnen im Gesamtgebilde des Unternehmens einsetzt. Dabei spielen häufig betriebsverfassungsrechtliche Schwerpunkte im unternehmerischen Rahmen eine Rolle. Aber Arbeitssicherheit und Gesundheit sind dabei wichtige Themen. Bei einem guten Vertrauensverhältnis kann es nicht schaden, einen Mitarbeitervertreter bei den Gesprächen um meine gesundheitliche Situation am Arbeitsplatz mit hinzu zu ziehen. Sind Konflikte eine zentrale Ursache für meine Erschöpfung, kann ein BR hier wertvolle schlichtende und ausgleichende Rolle spielen.

WR:
Und wenn es ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) gibt, was kann dieses leisten?

CS:
Ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist aus meiner Sicht ein zentrales Personalmanagementsystem im Unternehmen. Je nachdem, welche Rolle Gesundheit im Unternehmen spielt, kann es ein umfassendes und ganzheitliches Instrument sein. Thematisch/organisatorisch ist es meist im Bereich Human Ressouces oder Health & Safety anzutreffen.

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist ein zentrales Personalmanagementsystem

Die Aufgabenbreite kann sich dabei vom Betriebssanitäter über Arbeitsmedizinische Vorsorge, von betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen (BGF) über das betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) zu bis hin zur Führungskräfteentwicklung und wie ich gerne sage „Champions-League“, der aktiven Mitgestaltung der Unternehmenskultur erstrecken.
Dabei möchte ich jedoch keine Wertung der einzelnen Bereiche vornehmen. Alle tragen zu einer gesunden Arbeitsumgebung bei. Das Bewusstsein um die Wichtigkeit eines ganzheitlichen BGM ist in den Unternehmen jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Um den Klassiker zu bemühen: Ein Obstkorb ist kein Gesundheitsmanagement.

WR:
Was bedeutet das nun für meinen erschöpften Mitarbeiter?

CS:
Konkret auf deine Fragestellung bezogen kann eine gutes BGM hier einige zielgerichtete Unterstützungsmöglichkeiten vorhalten. Zum Beispiel direkte Ansprechpartner im Unternehmen zu verschiedenen Themen wie Konfliktmanagement, Suchtmittelmissbrauch, Wiedereingliederung nach langer Arbeitsunfähigkeit.

Oder auch ein externes EAP (Employee Assistance Program) als z.B. anonyme Mitarbeiterhotline. Manche Unternehmen kooperieren mit Psychotherapeuten, haben ein umfangreiches Netzwerk an psychologischen Hilfemöglichkeiten oder haben gar einen Psychologen für solche Themen eingestellt.

WR:
Und wie geht es weiter, wenn ich eine Krankmeldung erhalten habe (z.B. für 3-4 Wochen oder 5-6 Wochen)? Ab wann reiche ich meine Krankmeldung ein, was gilt es zu beachten?

CS:
Eine Krankmeldung muss in der Regel spätestens ab dem 3. Tag der Arbeitsunfähigkeit beim Arbeitgeber über eine ärztliche Bescheinigung angezeigt und schriftlich eingereicht werden. Dies gilt natürlich auch für mögliche folgende Verlängerungen. Sonst riskiere ich arbeitsrechtliche Probleme bis hin zur Kündigung. Eine direkte elektronische Übermittlung vom Arzt an das Unternehmen soll in absehbarer Zeit diesen Schriftverkehr ersetzen. Mal schauen…

WR:
Wie lange zahlt eigentlich der Arbeitgeber mein Gehalt und wie hoch ist die Gehaltsfortzahlung?

CS:
In den ersten 6 Wochen der Arbeitsunfähigkeit zahlt der Arbeitgeber das Gehalt/den Lohn weiter. Dies gilt bei jeder einzelnen Erkrankung. D.h., wenn ich z.B. 5 Wochen mit einer schweren Hüftprellung ausgefallen bin und 1 Monat später wegen etwas anderem erkrankt 4 Wochen flach liege, bekomme ich für die 10 Wochen mein Entgelt weiter vom Arbeitgeber bezahlt.

WR:
Wann springt denn die Krankenkasse ein und wie lange zahlt sie? Wann läuft das Krankengeld aus?

CS:
Nach den 6 Wochen mit einer einzelnen Erkrankung zahlt die Krankenkasse ein Krankengeld, bis wieder Arbeitsfähigkeit vorliegt.

Das Krankengeld kann aber auch nach einer zwischenzeitlichen Genesung direkt gezahlt werden, wenn ich z.B. zwischendurch wieder 3 Wochen gearbeitet habe, dann aber einen Rückfall erleide. Sollte dies dann bei mehreren Erkrankungen der Fall sein, greift ein kompliziertes Betrachtungssystem. Das ist jedoch sehr aufwändig und sei hier nur am Rande erwähnt. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle tritt die oben beschriebene Regel ein.

Das Krankengeld selbst wird aus dem durchschnittlichen Einkommen der letzten 12 Monate berechnet und beläuft sich netto meistens auf auf etwa 2/3 des letzten Nettogehaltes und hat eine festgelegte Höchstgrenze. Es läuft dann nach der 72. Woche (inklusive der ersten 6 Wochen Arbeitgeberentgeltfortzahlung) aus.

WR:
Wow, was für ein Wort … 😉

CS:
Dauert die Erkrankung weiterhin an, übernimmt die Arbeitsagentur den Lebensunterhalt mit dem Arbeitslosengeld 1. Dieses wiederum wird je nach Lebensalter für 12 oder 18 Monate gezahlt. Sollte die Krankheit dann immer noch so schwer sein, dass weiterhin Arbeitsunfähigkeit vorliegt, erfolgt ein Übergang in Arbeitslosengeld 2, auch als „Hartz 4“ bekannt. Unsere Sozialgesetzgebung bezeichnet diese Abfolge als sogenannte „Nahtlosigkeitsregelung“. Dies soll Beschäftigte davor schützen, aufgrund von gesundheitlichen Problemen ohne Einkommen dazustehen.

WR:
Betriebliche Wiedereingliederung nach 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit: Wie genau beantrage ich das beim Arbeitgeber?

Betriebliche Wiedereingliederung nach 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit

CS:
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) muss man nicht beantragen. Es wird gemäß §167 Abs. 2 SGB IX vom Arbeitgeber jedem Mitarbeiter nach 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit in den letzten 12 Monaten am Stück oder durch mehrere einzelne Arbeitsunfähigkeiten angeboten. In der Praxis ist dies manchmal etwas schwierig, da gerade in größeren Unternehmen nicht wenige Mitarbeiter unter diese Regelung fallen. Wenn man dann ein gutes BEM anbieten will, müssen einige personelle und finanzielle Ressourcen vorgehalten werden.

WR:
Und wer sind meine Ansprechpartner, bzw. wer schreibt mich an?

CS:
Die Einladungen erfolgen nach Auswertung der AU-Zeiten meist über die Personalabteilungen. In der Regel stehen für den gesamten Prozess (der Gesetzgeber spricht hier von einem ergebnisoffenen und kontinuierlichen Suchprozess) sogenannte BEM-Beauftragte oder BEM-Manager zur Verfügung. Diese bieten sich an, den gesamten Eingliederungsprozess, sprich die Rückkehr an den Arbeitsplatz unterstützend zu begleiten. Denn das BEM ist für die Mitarbeiter grundsätzlich freiwillig. Es kann auch jederzeit der Betriebsrat hinzugezogen werden, der daneben eine Überwachungsfunktion inne hat. Sehr wichtig ist beim BEM der Datenschutz und ein hohes Vertrauen in alle Beteiligte.

WR:
Was heißt das genau?

CS:
Niemand der Teilnehmer im BEM-Verfahren darf Diagnosen oder andere ausgesprochenen persönliche Dinge ohne die Zustimmung des Betroffenen/des BEM-Berechtigten weitergeben. Nur abgeleitete Maßnahmen stehen zur Diskussion. Die angelegte BEM-Akte gehört nicht zur Personalakte und alle erfassten Daten, Informationen oder Dokumente müssen sicher vor unbefugtem zugriff geschützt sein. Insbesondere der BEM-Manager benötigt dabei einen hohen Vertrauensvorschuss. Das ist aus meiner Sicht eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Wiedereingliederung.

WR:
Wie sehen die ersten Schritte aus, was passiert da genau in der Praxis?

CS:
Im Erstgespräch macht sich der BEM-Manager ein möglichst umfangreiches Bild zur Situation des Mitarbeiters. Hier können bereits die ersten möglichen und sinnvollen Schritte besprochen werden. Das können sehr unterschiedliche Dinge sein. Je nach Stand des aktuellen Genesungsprozesses können das Absprachen zu weiteren medizinischen Maßnahmen sein: z.B. einen Antrag auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme stellen, eine ärztliche Zweitmeinung einholen, die Teilnahme an Gesundheitsmaßnahmen oder auchRücksprachen mit der Krankenkasse. Arbeitsplatzbezogene Möglichkeiten wie eine stufenweise Wiedereingliederung (Hamburger Modell), ergonomische Verbesserungen, eine Tätigkeitsanpassungen oder Arbeitszeitveränderungen sind ebenfalls häufig Beratungsthemen.

Bei allen Maßnahmen wird besprochen, wer was wann wie übernimmt, welche Vor- oder Nachteile die Schritte haben oder haben könnten und wer wann wie hinzugezogen werden muss. Der Mitarbeiter entscheidet. Er ist der sogenannte „Herr des Verfahrens“.

WR:
Und wenn in einem Erschöpfungsfall alles vom Zeitraum her unüberschaubar ist?

CS:
Es braucht halt alles seine Zeit. Dazu ist es sehr hilfreich, regelmäßig im Austausch zu bleiben. Der Eingliederungsmanager kann gemeinsam mit dem Mitarbeiter einen guten Zeitpunkt für die Rückkehr besprechen. Wenn der Mitarbeiter sein OK gibt, kann er z.B. als Vermittler mit der Führungskraft oder dem Arbeitgeber einen Austausch gewährleisten, um den bestmöglichen Weg in Abstimmung zu bringen. Wie sagt man so schön: viele Wege führen nach Rom.

WR:
Und wenn dem Arbeitgeber das alles zu lange dauert?

CS:
Du meinst, wenn er die Arbeitskraft braucht, dass Wissen benötigt oder wenn er nicht zu lange die Aufgaben auf die anderen Kollegen abwälzen kann und will?

WR:
Genau …

CS:
Dann müssen Übergangslösungen her. Das können Leiharbeitnehmer sein, befristete Ausleihen von fachkundigen Mitarbeitern aus anderen Abteilungen, Prioritätenverschiebungen, Zurückstellen von Projekten …

WR:
Verstehe. Nun kurz der Wechsel der Blickrichtung: Was kann ich denn tun, wenn ich als Führungskraft merke, dass in meinem Team ein Mitarbeiter erschöpft ist?

Was kann ich denn tun, wenn ein Mitarbeiter erschöpft ist?

CS:
Wichtig ist das Gespräch. Ich kann als Führungskraft nur etwas Geeignetes unternehmen oder etwas ändern, wenn ich weiß, wie es jedem aus meinem Team geht. Und das finde ich nur heraus, wenn ich mit ihnen spreche. Meine Fürsorgepflicht ist dabei das eine, echtes Interesse und Empathie das andere.

Ich halte es für entscheidend, keine Diagnosen zu stellen (was rein fachlich auch so gut wie keine Führungskraft kann) oder Ratschläge zu geben. Der Mitarbeiter weiß am besten, wie es um ihn steht. Dennoch ist er oftmals nicht alleine dazu in der Lage, sich aus der Situation selbst zu befreien. Er benötigt meist Hilfe von außen stehenden.

WR:
Woher weiß die Führungskraft, wer das ist? An wen kann sie sich im Unternehmen wenden?

CS:
Jede Führungskraft steht selbst mitten im Leben und kann auf einiges an Wissen zurückgreifen. Leider reicht das häufig nicht oder setzt zu kurz an. Sobald ich als Führungskraft hier an meine Grenzen stoße, sollte ich mir Unterstützung suchen. Hier kommt dann das betriebliche Gesundheitsmanagement in seiner Gesamtheit ins Spiel.

WR:
Heißt konkret?

CS:
Das gesamte Paket des Gesundheitsmanagements wie am Anfang beschrieben steht ja nicht nur den Mitarbeitenden zur Verfügung, sondern auch den Führungskräften. Ein ganzheitliches BGM klebt also nicht nur Pflaster oder äußert sich ab und zu zur Unternehmenskultur, sondern unterstützt mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eben auch oder insbesondere die Führungsmannschaft.Es ist in allen Bereichen und auf allen Ebenen Ansprechpartner, vernetzt und vertreten. Es stößt an, wird gehört, arbeitet konzeptionell und hat strukturell seinen angemessenen Platz im Unternehmen.

WR:
Also ein echtes Managementsystem…

CS:
Ja. So sollte es sein.

WR:
Vielen Dank für das wirklich schöne und informative Gespräch.